Montag, 19. Januar 2015

Hat die Vermarktung "alpiner Großtaten" einen Einfluss auf deren "alpine Wertigkeit"?

Hat die Vermarktung "alpiner Großtaten" einen Einfluss auf deren "alpine Wertigkeit"?

Versuch einer Analyse an Hand von den zwei jüngsten "Alpinen Großtaten":

 

MtMcKinley im Winter, wirklich hart. Foto: Heli Steinmassl

Erste freie Begehung der Routenkombination "New Dawn und Mescalito" am El Capitan im Yosemite durch die beiden Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson.

der El Capitan im Yosemite
Zwei amerikanischen Kletterern gelang es ohne sich an einem Haken an der Wand zu halten, jedoch am Seil gesichert, nur an Felsunebenheiten und Rauhigkeiten fortbewegend, eine weitere Route am El Capitan "frei" zu erklettern. So entstand die vielleicht schwierigste Klettertour der Welt mit 7 Seillängen im 10 ten und 11 ten Schwierigkeitsgrad, und 25 weiteren Seillängen. Dabei bildete sich  eines der größten Medienspektakel in der Geschichte des Bergsteigens. Sogar der amerikanische Präsident gab einen öffentlichen Kommentar dazu ab.


Lonnie Dupre, Archiv Dupre

Iglu am Denai, Archiv Dupre
kurz vorm Kahiltnapass, Archiv Dupre

 

 

 

 

 

Die erste Winter Solo Besteigung im Jänner des kältesten Berges der Welt, dem Mt. McKinley oder Denali durch Lonnie Dupre.

Einem anderen Amerikaner ist es gelungen, mitten im strengsten Winter Alaskas als erster Mensch alleine im Jänner auf dem Gipfel des "kältesten Berges der Welt", dem Mt. McKinley  zu stehen. Im Jänner ist die Temperatur am kältesten (so um die - 60 C) und die Tage sind noch dazu extrem kurz. Der Japaner Uemuri ist bei einem ähnlichen Versuch 1984 verschollen. Vern Tejas gelang die erste Wintersolobesteigung 1988 in 28 Tagen, aber im März, bei deutlich längerem Tageslicht. 16 Menschen waren bis dato im Winter am Mt. McKinley, 6 sind dabei umgekommen.


Selbstverständlich handelt es sich bei diesen beiden Leistungen um zwei "Aktionen" in völlig verschiedenen alpinen Disziplinen. Hier eine reine akrobatische Felskletterleistung und dort eine entlegene Bergtour auf einem knapp 6200 m hohen Gipfel nahe des Polarkreises in Alaska.

Kann man das überhaupt vergleichen?
Die Leistungen an sich selbstverständlich nicht. Es ist etwas völlig Anderes jahrelang - in diesem Fall sogar rund 7(!) Jahre - an einer einzigen Kletterroute und diversen, sicherlich tausenden akrobatischen Kletterzügen zu tüfteln, oder nach 4 Versuchen in 5 Jahren, endlich Wetter und persönliche Verfassung "auf Gleich" zu bringen und bei extremen Temperaturen und Stürmen nach Wochen in der winterlichen Wildnis der Alaska Range einen über 6000 m hohen Gipfel zu erreichen.

Der El Capitan im Yosemite Valley liegt inmitten eines amerikanischen Nationalpark, ca. 400 km östlich von San Francisco, also in Kalifornien. Der Einstieg der Routen ist in ca. 20 min vom Auto an der Straße erreichbar.
Durch die leichte Erreichbarkeit waren Kletterer immer schon im Fokus von zahlreichen, ja buchstäblich Millionen Touristen (3,5 Mill. jährlich um genau zu sein) und natürlich auch zahlreicher Journalisten. So wurde Warren Harding nach der Erstbegehung der berühmten Route "Nose" bereits im Jahre 1953 von Journalisten am Gipfel erwartet. Auch sein legendärer Gegenspieler Royal Robbins wurde nach seiner Solobegehung über mehrere Wochen der John Muir Wall von Journalisten am Gipfel des El Capitan erwartet. Die Brüder Huber hatten dann anläßlich ihrer Kino - Filmproduktion gar die Route "Nose" rund 4 Wochen lang quasi "blockiert".

Einen riesen Medienwirbel hat es bei allen leicht erreichbaren Bergen immer schon gegeben. Auch bei den diversen Eiger-Geschichten waren Fernsehteams und Reporter en masse auf der Kleinen Scheidegg anwesend. Sogar bei bahnbrechenden Begehungen an den Drei Zinnen waren die Medien in der "Alpingeschichte" schon präsent. Ich denke da nur an die verschiedenen Direttissimas oder Routen durch die Dächer der Westlichen Zinne.

Naturgemäß ist der Medienrummel anläßlich einer Winterbesteigung in der Alaska Range verschwindend. Erstens weil das unendlich weit weg ist, und zweitens, weil kein Mensch die Alaska Range im Detail überhaupt kennt. Hier beisst sich die Katze wieder in den Schwanz. Die Alaska Range kennt also kaum einer, weil nicht berichtet wird usw.  Oder ist das gar ein "Gödel`sches Problem" nach dem Motto: "ein Lügner sagt, ich lüge nicht" - was stimmt jetzt?
Walter Laserer bei einer seiner 9 Mt McKinley Expeditionen

Und was ist jetzt?

Beeinflusst also die Berichterstattung über eine alpine Großtat jetzt deren "Wert", also die rein alpinistische Leistung?

Es werden und wurden großartigen Leisungen unter den Augen der Medien oder Filmproduktionen gemacht. Ich denke da nur etwa an David Lamas Cerro Torre Besteigung über die Kompressor Route. Und natürlich werden fantastische Leisungen völlig unbeachtet vollbracht, etwa die free Solo (also ohne Seilsicherung) Besteigung des "Fisch" (9. Schwierigkeitsgrad) in der Marmolada S Wand (1000m) durch Hans Jörg Auer.

Die reine Berichterstattung an sich wertet also  die jeweilige alpine Leistung natürlich in keinster Weise.

Aaaaaber:
es kommt natürlich immer auch darauf an, wie die Medienberichte zustanden gekommen sind. Wenn etwa ein Markus Pucher völlig alleine, bei totalem Schlechtwetter in der Bergwildnis Patagoniens auf einen technisch so extrem schwierigen Berg wie den Cerro Torre klettert, so hat das natürlich eine völlig andere Qualität und auch Wertung in meinen Augen, als wenn jemand unter den surrenden Kameras aus einem Hubschrauber beobachtet am selben Berg klettert. Auch wenn die Routen unterschiedlich schwierig sind. Es ist halt schon was anderes wenn ich im Notfall niemand habe, nicht mal einen Gefährten zum Reden, der mir helfen könnte. Als wenn ich 50 m von einem Hubschrauber entfernt unterwegs bin, und im Notfall nicht mal mehr jemand verständigen müßte, sondern gar ein simples Handzeichen genügen würde. 

Ähnlich ist die Situation mit dieser "Ausgesetztheit", diesem entgültigen "draußen" sein. Ich war selbst zwei Wochen im Winter alleine auf einem Gletscher in Alaska draussen. Wenn der nächste Mensch über hundert Kilometer weg ist, ist die Einsamkeit und damit das Naturerlebnis wesentlich intensiver, besonders in den langen Winternächten und den eiskalten und wilden Stürmen. 
Walter Laserer im Feb. 1989 am Gipfel des Mt. McKinley, Foto Heli Steinmassl, mit dabei war Heli Mittermayr

In unserem Fall der "Aktion" am El Cap ist also die Wand praktisch direkt neben der Straße, die 1000m hohe Wand ist völlig mit Fixseilen versehen. Reporter, Fotografen, Filmleute kommen täglich auf Besuch. Das ist  natürlich eine andere "Ausgesetztheit" als jene von Lonnie Dupre in Alaska.

Hier sein knappes originalstatement, das ich den Lesern nicht vorenthalten möchte:

t 2:04 p.m. January 11, 53-year-old polar adventurer Lonnie Dupre reached the 20,237-foot summit of Alaska’s Mount McKinley via the West Buttress route, finally succeeding after four attempts in the past five years and becoming the first person ever to summit the peak solo in January. McKinley, or Denali, is the highest peak in North America.

Dupre sent a SPOT message from the summit of Mount McKinley to his support team in Minnesota at 2:08 Alaska Standard Time on Sunday: “All OK. Doing well.” A few hours later, he sent a second message saying he was back at his high camp at 17,200 feet.
 

Die Berichte über die Tour am El Capitan sind praktisch nicht aufzählbar. Nahezu jede Zeitung und jeder Fernsehkanal hat darüber berichtet. 

Ich möchte daher hier nur stellvertretend jenen Bericht im ORF zeigen:



orf
Fast drei Wochen haben sie in einer steilen Felswand verbracht - nun haben zwei Freikletterer den berühmten Felsen El Capitan im US-Nationalpark Yosemite bezwungen.
Unter dem Jubel ihrer Angehörigen erreichten Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson gestern Nachmittag (Ortszeit) den Gipfel der 900 Meter hohen Formation, die alljährlich von Millionen Touristen bewundert wird.
Es ist das erste Mal, dass Bergsteiger die Südwand ohne Hilfsmittel zum Klettern bezwangen. Der 36-jährige Caldwell und der 30-jährige Jorgeson waren allerdings mit Halteseilen ausgestattet, um Abstürze zu verhindern. Die Kletterer hatten ihren Aufstieg Ende Dezember begonnen. Sie übernachteten in Spezialzelten, die sie am Felsen befestigten.
Ihre Erlebnisse dokumentierten Caldwell und Jorgeson ausführlich in Sozialen Netzwerken, zudem wurden sie von zwei Fotografen begleitet. „Es geht hier nicht um einen Eroberungsversuch, es geht um die Erfüllung eines Traums“, twitterte Jorgeson vor der letzten Etappe. Der „Dawn Wall“ ist auch berühmt, weil er im Sonnenuntergang in besonders schönen Farben erstrahlt.


Wenn man diesen Artikel als Bergsteiger und Kletterer liest, wird eines sofort klar. Die Abstriche und damit der Preis an Qualität, den die Bergsteiger da zahlen, ist enorm. Man hat den Eindruck, dass die Berichterstattung völlig entglitten ist. Es wird bei Fachthemen in Massenmedien natürlich immer generalisiert. Und das geht auf Kosten von Genauigkeit, Wahrheit und damit letztendlich auf Glaubwürdigkeit. Gewinn ist auf der anderen Seite für die Akteure Bekanntheitsgrad und Ruhm, eventuell auch monetärer Gewinn durch volle Vortragssäle?

Dass der Qualitätsabstrich im Massenmedium bei einer Berichterstattung über ein Spezialthema wie es sogar unter Bergsteigern das Schwierigkeitsklettern darstellt,  keine österreichische Erfindung ist, beweist ein fb Eintrag von Stephen Venebles (= in etwa der Britische Reinhold M) aus England. Er kritisierte die dilettantische Berichterstattung in der BBC massiv.

Über Lonnie Dupres Besteigung wurde in Massenmedien nichts veröffentlicht. Die Berichterstattung - wenn überhaupt - findet in einschlägigen Fachmagazinen bzw. im Internet statt. Qualitätsabstriche oder Glaubwürdigkeitsprobleme hat er - im Vergleich zu Tommy Caldwell und seinem Gefährten am El Cap - überhaupt keine.

Beeinflusst also die Art der medialen Berichterstattung jetzt die Wertigkeit einer alpinen Leistung?

Was meint ihr zu dieser Thematik?

links:
 http://www.mprnews.org/story/2015/01/16/daily-circuit-lonnie-dupre

http://www.bbc.co.uk/programmes/p02h3phb

 http://orf.at/stories/2261296/

http://news.nationalgeographic.com/news/2015/01/150114-climbing-yosemite-caldwell-jorgeson-capitan/





 



1 Kommentar:

  1. Hallo Walter,

    interessante Seite bin ziemlich oft gleicher Meinung!
    zu dem Thema:
    Ja für den Laien hundert %ig frei nach dem Motto: wer nichts weiß muss alles glauben! und die Mehrheit der Orf und Krone Leser sind halt mal keine ambitionierten engagierten Bergsteiger

    Lg Fritz

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