Mittwoch, 4. Oktober 2023

Sittenverfall auf 8000 m? Gedanken zur Diskussion auf Servus TV über die Vorgänge am K2 der Saison 2023

 Am K2 im Karakorum in Pakistan kam es in der vergangenen Saison zu einem Unfall eines Hochträgers im berüchtigten Flaschenhals auf ca. 8200 m. Danach stiegen  - trotz offensichtlichem Notfall - zig Bergsteiger über den sterbenden Pakistani einfach weiter zum Gipfel. 

Wie konnte das geschehen? Handelt es sich tatsächlich um einen Sittenverfall auf 8000 m? Sind Bergsteiger also doch keine edelmütigen Kämpfer in einer gnadenlosen Natur? Gibt es den Tatbestand "unterlassene Hilfeleistung über 8000m?

Auf ca. 8500 m ober dem Balkon am Mt. Everest, hinten Makalu


Viele Fragen ergeben sich da bereits nach kurzem Nachdenken über den Vorfall. Die Diskussion auf Servus TV gab einen interessanten Überblick über die Geschehnisse. Wobei Georg Bachler (Paul Preuss Gesellschaft) erzählte, wie es früher auf hohen Bergen zuging, und das sich unsere Welt seither weiter entwickelt hat. In der Bergsteiger- besser Bergführerszene - weltweit bekannt ist Lukas Furtenbach mit seinem Unternehmen, dass Bergführen auf 8000 m in ungeahnte Höhen trieb. Er gilt dabei als einer der Hauptakteure des "8000 Tourismus". Dabei spielen luxuriös ausgestattete BC und perfekte Logistik am Berg eine große Rolle. Kurz berichtete Ernst Stauber, dass sich die filmische Berichterstattung über Expeditionen enorm weiterentwickelt hätte, und er mit der Sendung Bergwelten alle Bergsteiger ansprechen wolle. 

Was denke ich nun, mit  jahrzentelanger Erfahrung in der Bergführerei auf 8000ern, und auch einer Rettungsaktion aus über 8400 m am Mt. Everest, über den Vorfall?

Für mich ist eine der wesentlichen Grundlagen der Diskussion, dass eine Trennung zwischen touristischem Bergsteigen und professionellem Alpinismus stattfinden muss. Es gibt das ja schon als völlig selbstverständlich in den Alpen.  

Sauerstoff - ein Hilfsmittel zum Überleben, oder Doping?

Jedenfalls unerlässlich für Bergführer über 8000m


Kein normal denkender Mensch würde von einem "Touristen" am Berg erwarten, dass er eine Rettungsaktion - selbst von einem kleinen Kogel - selbständig in die Wege leitet. Eventuell leistet man "Erste Hilfe" und verständigt sodann die Bergrettung. Diese leitet dann eine professionelle Bergung in die Wege. 

Nun ist vor allem in den Köpfen der "Daheim gebliebenen" noch immer verankert, dass Expeditionsbergsteiger eben keine Touristen, sondern extreme Alpinisten seien. Dieser Tatsache widerspricht die schleichende Entwicklung auf den Normalanstiegen von so manchem "technisch leichten" Achttausender. An diesen Bergen werden jede Saison "mobile Klettersteige" sogenannte Fixseile vom letzten Zelt im Basislager bis zum Gipfel verlegt. Die von Extremkletterern zu Touristen mutierten Bergsteiger können so, dank ausgeklügelter Logistik und perfektem Wetterbericht mit Unterstützung von Bergführern, mit vertretbarem Risiko einem "Schein Alpinismus" frönen. Sehr zum Leidwesen vieler nachdenklicher Bergsteiger machte diese Entwicklung auch vor dem sehr schwierigen und überaus gefährlichen K2 nicht halt. 

Früher meinten viele Bergsteiger, dass Bergsteigen eben auch "Charaktersache" sei, und unter "Bergsteigern" viele Missstände der normativen Gesellschaft nicht auftreten würden. 

Durch die oben genannte Entwicklunge des Berg Toursismus zum Massensport wird diese These aber widerlegt. Längst sind Vorfälle wie Diebstähle in Hochlagern, benützen fremder Zelte und Ausrüstung und Lügen und Halbwahrheiten in der Berichterstattung auch auf den höchsten Bergen der Welt angekommen. Trotzdem bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass auch an den höchsten Bergen die meisten Menschen frei nach Goethe "edel, hilfreich und gut" sind. Viele haben als Touristen einfach nicht das nötige "Know How" bzw. überlegene Können, um souverän adäquate Hilfe anbieten zu können. 


Ich denke also, dass es höchst an der Zeit ist, dass auch im Himalaja und im Karakorum eine professionelle Bergrettung etabliert wird. Es gibt dazu, vor allem in Nepal, schon ausgezeichnete Ansätze etwa durch ein Hilfsprojekt der Air Zermatt mit Hubschrauber Bergungen bis in mittlere 7000 m Höhe. Es wird bei dem anhaltenden Zustrom an Bergtouristen in den höchsten Gebirgen der Welt einfach eine Notwendigkeit sein, auch hier professionelle Strukturen auf zu bauen. Zumal bei den exorbitant hohen Permittgebühren durchaus das finanzielle Potential dafür vorhanden sein müsste. 

Dass in den ärmsten Ländern der Welt, und dazu gehören nun einmal die Staaten mit den höchsten Bergen der Welt, der Tourismus zunimmt und den Einheimischen zunehmend Arbeit und damit auch besser Lebensumstände ermöglicht, ist ja per se eine sehr positive Entwicklung.