Praktische
Lawineneinschätzung durch Kompensationsmethode
oder ein Plädoyer für Hausverstand und Eigenverantwortung, Teil 2
Wie in Teil 1 bereits beschrieben sind die heute gängigen
Methoden zur Beurteilung der Lawinengefahr für Schneesportler ungenügend. Alle
benötigen als Input den LLB, der aber laut eigener Auskunft der Ersteller in
ca. 25 % der Fälle falsch ist. Daher kann auch das Ergebnis dieser
Beurteilungsmethoden nicht wirklich zufriedenstellend sein.
Die Forschung bzw. Wissenschaft
versucht sich immer tiefer in die Materie Schnee und Lawinenkunde zu vergraben,
wobei allerdings für den Praktiker, der draußen mit seinen Skiern unterwegs
ist, keine Fortschritte zu bemerken
sind. Eher im Gegenteil, je mehr man
sich mit der Wissenschaft des
Schnees und der Lawinen beschäftigt,
umso komplexer, unübersichtlicher
und unlösbarer wird das Problem der
Einschätzung der Gefahr. Es handelt sich hier um ein gängiges Problem in
der Wissenschaft, auch z. B. bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz.
Je mehr „Daten“ man kreiert, umso länger und schlechter wird selbst mit den
besten Computern der Welt das Ergebnis der berechneten Modelle.
Wenn man zum Beispiel analysiert, wie viele Daten das
menschliche Gehirn verarbeiten müsste, um nur auf einem unebenen Boden ohne zu
schwanken gehen zu können, so kommt man bald an Grenzen.(Datenmenge,
Berechnungszeit) Unser Gehirn „generalisiert“ (reduziert) die benötigten Daten,
ähnlich wie wir es von der Erstellung von Landkarten kennen. Es werden nur die
allernotwendigsten Basisdaten verarbeitet. Der Rest wird durch Adaption und
Wiedererkennung von schon vorhandenen Mustern erarbeitet, also einer Form der
Alltagsintuition.
Um nun in der Lawineneinschätzung weiter zu kommen, hilft
nur ein radikales Umdenken. Wir benötigen eine Strategie, die völlig unabhängig
vom aktuellen LLB funktioniert und
die so einfach ist, dass wir draußen
auf Tour zu einem befriedigenden Ergebnis kommen können. Also keine konkret -
perfekte ja/nein Entscheidung, aber eine
Einschätzung der Gefahr, die ein bestmögliches
Ergebnis liefert. Dabei nehmen wir bewusst in Kauf, dass es eben ein
gewisses Quantum Restrisiko immer geben wird. – Das ist ja auch mit den besten
Rechenmethoden nicht aus zu schließen, und es liegt in der Natur von jeder
„Schätzung“
In der Entscheidungstheorie
gibt es ein Verfahren, das bei komplexen Problemen bestmögliche Ergebnisse liefert.
Vor allem wenn wenig konkrete Daten für eine eindeutige Entscheidung zur
Verfügung stehen. Dabei handelt es sich um die „Weniger ist Mehr“, bzw. „Take the best“ Methode. Dabei wird bei
einem Problem der Input an Daten drastisch reduziert. Man arbeitet nur noch mit
den wesentlichen, nach einer
Einschätzung am wichtigsten für das
Problem relevanten Daten. Alles Andere wird einfach weg gelassen.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass bei
einer Vielzahl an komplexen Problemstellungen, diese stark vereinfachten
Schätzmethoden ein ausgezeichnetes
Ergebnis liefern. Vor allem bei Prognosen,
also Aussagen über Problemstellungen in der Zukunft. Ergebnisse aus der
Vergangenheit können mit exakten Daten genauer berechnet werden.
Genau diese Problemstellung haben wir bei der
Gefahrenprognose der Lawinen. Wir sollen ohne exakte Daten mit einer Fülle von
Parametern für die Zukunft ein möglichst genaues Ergebnis für die
Einschätzung der Lawinengefahr finden.
„Weniger ist also Mehr“
Wissenschaftlich untersucht wurde diese Methode am Beispiel
des Problems von der Entwicklung von Aktien oder etwa der Wahl der richtigen
Schule für ein Kind. Bei der hier vorgestellten Methode handelt es sich um eine
modifizierte Anwendung der Intuition. Wie ich in Teil 1 bereits angemerkt habe,
ist Intuition alleine kaum eine Möglichkeit, um die Lawinengefahr gut
einschätzen zu können.
Die Frage war also, gibt es eine Möglichkeit, ein
vereinfachtes Verfahren, dass die
Intuition so verbessert, dass
man damit auch im Gelände arbeiten kann?
Ich wurde dabei bei Gerd Gigerenzers fündig. In seinem Buch
„Bauchentscheidungen“ beschreibt er eine Methode, wie Ärzte in Amerika die
Diagnose für eine Herzerkrankung drastisch verbessern konnten. Dabei wurde auf
„Weniger ist Mehr“ zurück gegriffen und ein „effizienter Entscheidungsbaum“ speziell
für dieses Problem entwickelt.
Ich habe dieses System nun auch auf die Lawinenprognose
angewendet.
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