Donnerstag, 8. Oktober 2015

Fehler: "Schuld" und Lernen aus Erfahrungen

Fehler: "Schuld" und Lernen aus Erfahrungen


Die Vorkommnisse des letzten Lawinenwinters haben wohl viele Kollegen, die in verantwortlichen Positionen für alpines Lernen sitzen - sei es jetzt bei den großen alpinen Vereinen, Bergrettung oder privaten Alpinschulen - zum Nachdenken angeregt. Viel - allzuviel - ist passiert, aber wie können wir nun daraus lernen?

Hubschrauber im winterlichen Hochgebirge - heute im alpinen Raum standard.


Die Wintersaison ist vorbei und ich hatte ein wenig Zeit, mir Literatur zum Thema zu besorgen und auch durch zu ackern. Dabei bin ich auf sehr interessante Zusammenhänge gestoßen.

Eigentlich müßte man annehmen, dass viele Unfälle in den Bergen unerfahrenen Menschen oder jugendlichen  Draufgängern passieren. Offenbar ist dem aber nicht so. Ich habe von praktisch keinem Unfall der Anfängern passierte gehört. Die mit Abstand meisten "Lawinen Unfälle" passieren "erfahrenen" Leuten, viele sind bei der Bergrettung aktiv, und einige waren sogar als "alte Haudegen" bekannte Bergführer. Warum passieren nun gerade solchen Leuten immer wieder Unfälle am Berg? Selbstverständlich sind solche Menschen auch viel mehr in den Bergen unterwegs, also ist die Wahrscheinlichkeit einmal in einem Unfall verwickelt zu sein auch höher.  Aber gleichzeitig mit dem Mehr am Draussen sein, sollte auch die Erfahrung ja steigen. Diese Frage führt uns zwangsläufig zu der mittlerweile schon häufig diskutierten Frage ob es ein Lernen aus Erfahrung gibt bzw. unter welchen Voraussetzungen.

Lernen möchte ich hier in Zusammenhang mit Verhalten oder verändertem Verhalten bezogen auf eine Ursache sehen. In der Psychologie bezeichnet man eine "Ursachenzuschreibung des Verhaltens" als Attribution.

Nicht immer funktioniert Lernen bzw. Attribution also linear, geradeheraus und ohne Probleme. Es kommt bei diesem psychologischen Verhaltensmustern immer wieder zu "Rückschlägen" bzw. apprupten Unterbrechungen und Rückkoppelungen.

Es gibt fundamentaler Attributionsfehler (nach Lee Ross 1977):

bei Beurteilung von eigenem Verhalten (Fehlern) haben Menschen die Tendenz, die Ursachen situative Faktoren zuzuschreiben. Das heisst, wenn ich selber einen Blödsinn mache, dann waren halt die Umstände (Situation) "schuld".

bei der Beurteilung Anderer werden bevorzugt Personen Attributionen vorgenommen. Wenn jemand anderer einen Blödsinn macht, so hat die Person dann den "Fehler" gemacht.

Dieses Phänomen ist stärker, je unterschiedlicher das Verhalten des Anderen vom eigenen Verhalten zu sein scheint.

Umgelegt auf Bergsteigen würde das heissen, dass, wenn ich durch eigene Fehlentscheidungen in einen Unfall verwickelt werde, man einfach die Umstände, also objektive Situationen, dafür verantwortlich macht.  Man neigt eher zu der Haltung, dass man da nix anders machen hätte können. In diesem Zusammenhang also auch in Punkto Änderung des eigene Verhaltens nichts zu lernen hat!

Analysiert man aber Bergunfälle von anderen Personen, so neigt man eher dazu, die andere Person dafür, also für Fehler,verantwortlich zu machen. Ein "fremde Unfallsituation" begünstigt also eher ein Erkennen eines "Lernbedarfs" bzw. eine Änderung des eigenen Verhaltens aufgrund der erfassten Information.

Dies zeigt uns also, wie wichtig Unfallanalyse und die Veröffentlichung der Ergebnisse ist. Menschen sind eher offen für das Lernen aus Fehlern anderer Personen, da sie dazu neigen, selbst gemachte Fehler auch vor sich selber zu vertuschen!

Eine weitere s psychologisch sehr interessante Tatsache ist die sogenannte Kontrollillusion: nach Langen (1975)
Bei dieser wird zwischen folgenden verschiedenen Situationen unterschieden:

Fähigkeitssituation: hier gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen Verhalten und dem Ergebnis. Damit wird das Ergebins eben kontrollierbar durch das Verhalten oder die Strategie der Person.

Zufallssituation: hier besteht kein Zusammenhang zwischen Verhalten und dem Ergebnis. Das Ergebnis des Verhaltens ist "zufällig", also unkontrolliert.

Enthält nun eine Zufallssituation auch nur den geringsten Hinweis auf eine Fähigkeitssituation, so entsteht daraus eine Illusion der Kontrolle. Die Versuchsperson glaubt aufgrund der Ähnlichkeit der Situation mit entsprechender Fähigkeitssituation alles unter Kontrolle zu haben. Tatsächlich handelt es sich allerdings hier eben um eine Illusion.

Ein bekanntes Beispiel dafür ist, wenn jemand selbst ein Los zieht, so hat er subjektiv das Gefühl eher zu gewinnen,  hingegen wenn eine "Glücksfee" das Los zieht,  weniger.

Was bedeutet diese Illusion nun im Zusammenhang mit der Bereitschaft oder Fähigkeit aus Erfahrung beim Bergsteigen zu lernen?


Wir alle haben es doch im Laufe der Jahre mit unendlich vielen verschiedenen Situationen zu tun bekommen.  Wie oft habe ich etwa geglaubt, dass ich diese oder jene Situation im Griff habe. Nur um im Nachhinein zu erkennen, dass ich nur eben Glück gehabt habe, ich eben in Wirklichkeit nicht die gesamte Situation kontrollieren konnte. Ich denke, dass wir es beim Bergsteigen häufig mit so einer Kontrollillusion zu tun haben.

Es erfordert meiner Meinung nach eine gehörige Portion an Selbstvertrauen aber auch an sprichwörtlicher "Demut", dass man sich die Erkenntnis, dass man am Berg niemals alles unter Kontrolle haben kann, und die Natur eben nicht berechenbar ist, immer wieder bewußt aktiv in Erinnerung ruft.

Selbstwertdienliche Attribution:

Es kommt zu einer sogenannten Attributions Asymmetrie bei Erfolg bzw. Misserfolg. Erfolg wird den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben, Misserfolg wird extern attribuiert. Also wenn etwas schief geht, ist immer etwas Anderes schuld. Die Ursache dafür liegt in den menschlichen Charakteristika: motivationale Prozesse, Selbstaufwertung, Selbstschutz und etwa dem Wunsch nach Kontrolle einer Situation. Solche unbewußte Abläufe finden bei jedem Menschen statt, nicht etwa nur bei Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl.


Ein Fazit aus den vielen Fremdwörtern und komplizierten Zusammenhängen ist  nur relativ schwierig heraus zu kristallisieren.

Um aus Fehlern zu lernen, müssen wir sie als solches erkennen und sie uns auch selber erst mal  eingestehen, und auch aktiv bewußt machen. Ein wichtiges Schlüsselwort ist hier sicherlich die Kritikfähigkeit sich selbst gegenüber. Viele suchen - wie oben erwähnt - bei anderen oder den Umständen die "Schuld", anstatt bei sich selbst anzufangen.

Ein für mich sehr interessanter Aspekt ist die obig erwähne Kontrollillusion. Wie oft haben wir die Illusion am Berg, oder in schwierigen Situationen alles unter Kontrolle zu haben, wobei sich letztlich aber dann doch wieder herausstellt, dass man einfach nur "Glück" gehabt hat. Aus solchen Situtaionen zu lernen ist sicherlich am schwersten, wenn nicht sogar nahezu unmöglich.

Schithochtouren sicher eine der Königsdisziplinen im Alpinismus, hier im Argentierkessel, Chamonix


Ein sehr wichtiger Zugang ist auch Nachlässigkeit, Schlamperei, "paßt schon", "geht schon irgenwie"
Gerade in "Routinesituationen" muss man offensichtich noch mehr aufpassen bzw. "pingelig sein" damit man auf der sicheren Seite bleibt. Zusammenfassend ist also zu sagen, dass eine Portion Pedanterie in Punkto Sicherheit niemals ein Fehler ist und man - nicht nur als Bergsteiger - immer offen sein sollte zu lernen, sich ständig zu verbessern und neue Erkenntnisse aus der Sicherheitsforschung auch im Verhalten um  zu setzen.

Vor allem "erfahrene Bergsteiger" sollten bereit sein, selbstkritisch ihr Verhalten am Berg und in der Natur immer wieder zu hinterfragen.


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