Sonntag, 17. Juli 2016

"Das kurze Seil" - Gedanken zum Unfall von Noppa

Auch auf die Gefahr hin schon wieder über Negatives vom Bergsteigen zu Berichten, halte ich es doch für wichtig und interessant, den Unfall eines der erfahrensten Bergführers überhaupt, Norbert "Noppa" Joos, zu hinterfragen.

Gehen am kurzen Seil am Großglockner, Bild Schiefer

Noppa war mit zwei Gästen über den Bianco Grat auf den Piz Bernina gestiegen. Beim Abstieg über den Spallagrat dürfte einer der Gäste gestolpert sein, alle drei Mitglieder stürzten ab. Der Bergführer fand tragischer Weise den Tod, die Gäste überlebten den Absturz. Offensichtlich waren die drei Bergsteiger am "Kurzen Seil" im Abstieg unterwegs und es gab somit einen typischen Mitreissunfall.

Schon vor vielen Jahren hat der deutsche Unfallforscher Pit Schubert verschiedene Tests zu Unfällen mit dem Seil auf Schnee und in Firnflanken veröffentlicht. Sinngemäß kam man schon damals zur Erkenntnis, dass es auf verhältnismäßig flachem Terrain, relativ unabhängig von der Art der Bekleidung, schon nach kurzer Strecke zu einer extrem hohen Rutschgeschwindigkeit kommt. Je nach Härte der Oberfläche können rund 80 oder 90 % der Geschwindigkeit des freien Falles erreicht werden.
Unterwegs auf der Mt Blanc Überschreitung, einger typischen Tour mit Gehen am kurzen Seil

Eine rege Diskussion über Mitreissunfälle am Seil in steilen Schnee und Firnflanken war die Folge. Konklusio der damaligen Diskussion war dann eine Empfehlung, als "Gelegenheitsbergsteiger" in steilen Schneehängen generell auf das Kurze Seil zu verzichten.

Warum wird die Technik des "Gehens am kurzen Seil" von Profi Bergführern nach wie vor angewendet? Wie der Unfall von Noppa zeigt, sind auch super erfahrene Profis von Unfällen dieser Art offenbar leider nicht gefeit.

Um die Seiltechnik "Gehen am kurzen Seil" wirklich beurteilen zu können, ist natürlich eine gründliche Analyse derselben notwendig.

Die Nachteile sind offenkundig, ist der Bergführer nur einen Augenblick  unkonzentriert und fällt der Gesicherte erst mal vollständig, ist ein Halten des Sturzes kaum möglich. Einmal in der Sturzbahn kommt es immer dann, wenn einer der Seilschaft den Sturz bremsen (Halten) könnte, durch ruckartiges Spannen des Seiles zu einem "Schnepf - Effekt" und damit zu einer Beschleunigung des Sturzes der ganzen Seilschaft.
Einzig eine sofortige Reaktion des Sichernden durch Zug am Seil während der Abstürzende noch im labilen Gleichgewicht ist, kann einen Sturz verhindern. Eine Ausnahme bildet ein eher flacher Hang mit weichem Schnee, wo man durch "Mitlaufen und anschließendem langsamen Abbremsen" eine Chance hat, den Sturz zu halten.
Gehen am kurzen Seil wird auch in leichtem Felsgelände praktiziert

Über die Vorteile dieser gefährlichen Seiltechnik wird allerdings kaum wo berichtet. Das Seil bietet nämlich auch eine riesige "moralische" Sicherheit. Viele Bergsteiger sind mental nicht so stark, dass sie Firngrate oder ausgesetzte Stellen sicher seilfrei begehen können. Die Furcht läßt sie zögerlich und extrem unsicher agieren. Das Vertrauen in einen Bergführer und in das Seil verwandelt solche Menschen plötzlich. Auf einmal sind diese in der Lage, ohne zögern und problemlos Stellen zu meistern, die sie zuvor als unmölich zu begehen eingestuft hätten. Auch ist es bei der Länge vieler Bergtouren gar nicht möglich, Seillängenweise zu sichern, man würde dann für solche Touren tagelang unterwegs sein.

Somit gehört das "Gehen am kurzen Seil" zur täglichen Arbeit vieler Bergführer, wobei wir uns selbstverständlich den Gefahren dieser Seiltechnik bewußt sind. Für mich zeigt der Unfall von Noppa, wie wichtig es ist, immer wieder sehr sorgfältig abzuwägen, ob es nicht sicherer wäre, auf das Seil in der jeweiligen Situation völlig zu verzichten. Und ja, der Unfall zeigt auch auf, wie wichtig es ist, immer wieder das Sichern  am kurzen Seil zu trainieren. Für Leute (Bergführer und nicht Bergführer), die nicht ein entsprechendes regelmäßigs Training in dieser speziellen Sicherungsart haben, sollte es klar sein, im Fall des Falles lieber seilfrei unterwegs zu sein.

http://www.nzz.ch/panorama/bergunfall-am-piz-bernina-buendner-bergsteiger-norbert-joos-toedlich-verunglueckt-ld.105062

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/schweiz-bergsteiger-norbert-joos-stuerzt-in-den-tod-a-1102423.html

http://www.blick.ch/news/schweiz/graubuenden/seine-italienischen-gaeste-ueberlebten-buendner-bergfuehrer-55-stirbt-am-bernina-id5249414.html

http://www.alpin.de/home/news/10805/artikel_norbert_joos_toedlich_verunglueckt.html

http://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_78374528/schweizer-bergsteiger-norbert-joos-im-engadin-in-den-tod-gestuerzt-.html

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