Auf der Suche nach dem Königsweg der "Lawinenentscheidung" - Gedanken zur Podiumsdiskussion bei der Alpinmesse in Innsbruck
Mit Stefan Beulke, Jurist und Berg- und Skiführer aus Deutschland, sowie Jürg Schweizer vom SLF in Davos war diese Diskussion hervorragend besetzt. Dazu kamen noch die bekannten Vertreter von den Naturfreunden Martin Edlinger und dem ÖAV Michael Larcher, sowie von den Skilehrern Markus Kogler und als Profi Bergführer Michi Andres - klar war meine Erwartung in die Veranstaltung hoch gesteckt, zumal sie von einem ausgezeichneten Profi, Peter Plattner, moderiert wurde.
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Stefan Beulke wies in seinem Eröffnungsstatement darauf hin, dass er im Zuge einer Recherche sage und schreibe 26 verschiedene Methoden bzw. Strategien zur Entscheidungshilfe in Punkto Lawine gefunden habe.
Peter Plattner setzte darauf als Ziel der Veranstaltung fest, die Frage zu beantworten, ob es unter den Experten eine gemeinsame Basis zur Entscheidungshilfe gäbe, oder eben nicht. Zitat: "Der Diskurs, ob der probabilistische, analytische oder intuitive Ansatz zu den besten Entscheidungen führt, wird je nach Land, Ausbildungsorganisation und vorherrschender Lehrmeinung sehr kontrovers geführt."
Der aufmerksame Leser merkt hier sofort, die Alpinwissenschafter bzw. Experten in Innsbruck wissen sich für jederman "leicht verständlich" auszudrücken.
Hier eine Übersetzung für Bergsteiger, die nicht der Gilde der "Alpinwissenschafter" angehören:
probabilistisch - wahrscheinlich; analytisch - zerlegend, rational; intuitiv - Entscheiden ohne bewusster Schlussfolgerung, aus dem Unterbewusstsein.
Klarerweise drehte sich die Diskussion im Wesentlichen dann darum, dass jeder Vertreter seine Methode beschrieb und auch verteidigte. Für mich war auch sehr interessant, wie der eine oder andere Diskutant mit etwaiger Kritik umgehen konnte oder eben nicht!
Für mich neu war allerdings die Tatsache, dass Jürg Schweizer - d e r Lawinenprognoseexperte schlechthin vom SLF Davos, öffentlich bestätigte, dass eine Beurteilung eines einzelnen Hanges mit dem Lawinenlagebericht n i c h t möglich sei.
Wenn man dann noch in Betracht zieht, dass 25% aller Lawinenlageberichte falsch sind, so ist es kein großer Schritt zur Tatsache, dass Methoden, die als "Input" den Lawinenlagebericht bzw. die Gefahrenstufe haben, als "Output" keine besseren Ergebnisse liefern können.
Wie sinnvoll ist es dann, eine Strategie anzuwenden, die als wesentlichen Input die Warnstufe aus dem Lawinenlagebericht hat?
Wir haben also auf der einen Seite die breite Masse der mehr oder weniger durchschnittlichen Anwender bzw. Tourengeher die nach einer einfachen ja/nein Strategie lechzen, und auf der anderen Seite einige wenige "Experten", die sich uneinig über die eine oder ander Methode zur Entscheidungsfindung sind. Dahinter stehen dann noch die Leute die die Lawinenberichte und Warnstufen erstellen, und die davor warnen, den Lawinenlagebericht als absolute Grundlage für Entscheidungen zu nehmen.
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Es entstand in der Vergangenheit zunehmend das Problem, dass sämtlich Methoden dem durchschnittlichen Anwender suggerieren, dass man die Lawinengefahr genau berechnen oder einstufen könne. Mit der Grundlage der jeweiligen Warnstufe und exakten dazu passenden Verhaltensregeln wird dieses Gefühl sogar noch verstärkt. Es scheint mir, dass diese Entwicklung ausbildungstechnisch in einer Sackgasse gemündet hat! (Holzweg)
Bei gleichzeitiger Warnung von Experten, dass es "nix genaues gibt", führt das zunehmend zu einer Verunsicherung aller Anwender. Die Erfinder der einen oder anderen Entscheidungsstrategie verteidigen ihre eigene oder verteufeln andere Stratgien und agieren zunehmend an ihrer Zielgruppe, dem durchschnittlichen Bergsteiger vorbei. Stichwort: Fremdwörter Orgie!
Zwischen Lawinenlagebericht und Anwender werden also Vehikel der Entscheidungsstrategie zwischengeschaltet (Snow Card, Stop or go usw.), die eine falsche Entscheidungs - Sicherheit suggerieren. Spricht man mit den Leuten von den Lawienenwarndiensten, so bekommt man rasch die Bestätigung, dass eine Lawinen Prognose (Lawinenlagebericht) wesentlich schwieriger zu erstellen ist, daher auch viel ungenauer, als etwa ein Wetterbericht.
Niemand würde auf die Idee kommen, auf Grundlage des Wetterberichts eine Strategie zu entwickeln, die dann mehr oder weniger bindend die Entscheidung suggeriert ob man nun "stoppt oder doch weitergeht". Jedem ist sofort klar, dass der Wetterbericht nur eine grobe Planungshilfe ist, und kleinräumig selbstverständlich stimmen kann - oder eben auch nicht. Dass man eben selbst seine Nase in den Wind halten muss, um zu sehen, was draussen in der Natur los ist.
Was heisst das jetzt zusammengefasst? Ich hatte den Eindruck, dass die Lawinenexperten, die den Lawinenlagebericht erstellen, nicht wirklich mit der Entwicklung glücklich sind, dass ihr Lawinenlagebericht bzw. die prognostizierte Stufe, immer mehr als "Maß der Dinge" gilt.
Mit der öffentlich festgestellten These, dass eine Prognose für den Einzelhang nicht möglich ist, dazu die Tatsache, dass jeder 4. Lagebericht sowieso falsch ist, sind für mich sämtliche Entscheidungs - Strategien, die mit der Grundlage Lawinenlagebericht arbeiten, hinfällig geworden.
Um über Fachintuition zuverlässige Entscheidungen fällen zu können, muss man sich rund 10 Jahre hauptberuflich mit einer Materie befassen. Da wir nur im Winter Skitouren gehen können, heisst das mindestens 20 Jahre unterwegs sein, und das hauptberuflich. Erst dann hat man den nötigen "input" im Gehirn um die Muster der "Faustregeln", mittels derer solche Entscheidungen funktionieren, auch abrufen zu können. Damit scheidet diese Methode für durchschnittliche Anwender von vornherein aus.
Einschränkend vielleicht, dass die eine oder andere Methode als Planungsgrundlage sicherlich ihren Nutzen beweist. Der Lawinenlagebericht hat natürlich nach wie vor für mich einen sehr wichtigen Stellenwert, aber in etwa selbigen, wie der Wetterbericht für Bergtouren im Sommer.
Unsere Erde ist rund und sie dreht sich weiter. Was gestern der neueste Schrei war, kann sich vielleicht etablieren, aber ebenso von der wissenschaftlichen Entwicklung überholt werden. Man denke nur etwa an die Entwicklung von Handys. Wie schnell die ersten Modelle überholt waren und zum Beispiel Nokia praktisch vom Markt verschwand.
Ich glaube, dass in Zukunft Strategien entwickelt werden, die unabhängig vom jeweiligen Lawinenlagebericht vom Anwender als Einschätzhilfe angewandt werden können. Sie sollten aber jedem klar machen, dass es sich eben um ein Schätzverfahren mit Restrisiko handelt und nicht um eine klare Warnstufe oder gar um eine "Risikoampel". Wer halbwegs sicher im winterlichen Gebirge unterwegs sein will, kommt um eine umfassende Ausbildung und Beschäftigung mit der komplizierten Materie der Schnee- und Lawinenkunde also so oder so nicht herum.
Das große Abenteuer "Winter in der Natur" wird auch in Zukunft nur mit einer gewissen Risikotoleranz möglich sein - und ich finde das ist gut so!
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