Dienstag, 8. März 2016

Ein Grenzerlebnis am Mt. Everest

Ein Grenzerlebnis am Mt. Everest


Heute mal eine etwas Andere Geschichte. Bei meinen insgesamt 4 Expeditionen zum höchsten Berg der Welt kam ich selbstverständlich in die Eine oder Andere Grenzsituation. 

Zelte am Südcol, dem höschsten Campingplatz der Welt (7 980m)

Diese Geschichte beschreibt, wie ich mich mitten in der Nacht, mitten in einem Sturm auf über 8000 Metern Höhe verirrt hatte, und was mir dabei durch den Kopf ging.

Du hast es versprochen, Papa!

„Du hast es versprochen Papa!“, „ja, ganz bestimmt, wenn ich aus Nepal zurückkomme, gehen wir mit dem Zelt in die Berge und übernachten da ganz hoch droben“, verspreche ich noch meinen beiden Töchtern vor der Abreise. Und nun sitze ich da, da in der totalen Scheiße!

Stell dir vor, es ist Nacht, nicht irgendeine Nacht, nein, stock dunkel, ohne Mond und es stürmt, dass es immer wieder riesige Schneefahnen vom Gletschereis durch die Gegend peitscht. – Du hast es versprochen, Papa!- geht mir mein Versprechen an meine Töchter  immer wieder durch den Kopf.
Auf 5 500 m hast du noch die Hälfte der Luft zum Atmen, aber hier heroben auf ca. 8 200 m sind es vielleicht noch  20 %. Ich sitze hoch über dem höchsten Pass der Welt zwischen dem Mt. Everest und dem Lhotse im Sturm auf meinem Rucksack und überlege. Normalerweise hat man hier heroben ein funktionierendes Sauerstoffgerät. Mein Sauerstoffgerät funktioniert nicht, dafür habe ich eine ca. 10 kg schwere O2 Flasche im Rucksack. Renate ist mit den Freunden weiter gestiegen, sie wollen trotz des Sturmes einen Gipfelversuch wagen. – Du hast es versprochen, Papa, geistert mir mein Versprechen immer wieder im Kopf herum.   

Es nützt nichts, meine Zehen sind schon eiskalt, und die Stirnlampe wird auch nicht mehr lange leuchten. Tief drunten, bei unseren Zelten kann ich das regelmäßige Leuchten einer Blinkleuchte erkennen. Wie ein Leuchtturm in der Brandung verspricht es Geborgenheit und Wärme – wenn es nicht soo weit weg wäre! Ich reiße mich zusammen. Auf! Langsam, jeder Schritt unendlich mühsam, taste ich mich tiefer. Jetzt müssten langsam die ersten Fixseile auftauchen. Verstört leuchte ich mit meiner immer schwächer werdenden  Lampe in die Dunkelheit. Wie die Scheinwerfer eines Autos leuchtet der Lichtkegel einen bestimmten Bereich ab, daneben  ist nichts als eiskalte, schwarze Dunkelheit. Kein Seil in Sicht. Wohin ich mich auch drehe, nichts als kaltes Eis und immer wieder vom Sturm aufgewirbelte Wolken von Schneestaub. Das Gelände wird steiler, ca. 50 Grad, blaues blankes Eis, unterbrochen von einigen schmalen Pulverschnee Bändern.  Du hast es versprochen, Papa! schießt es mir durch den Kopf, ich muss wieder heimkommen. Ich setze mich auf meine Rucksack, hechelnd, wie ein ertrinkender nach Luft schnappend

Hier ist es mir ohne Fixseil bei Dunkelheit und Sturm viel zu gefährlich. Meine Instinkte, durch 20 Jahre hauptberufliches Bergführen geschärft, raten mir in flacheres Gelände Richtung Kang Sung Wand zu queren. Plötzlich, völlig ohne Vorwarnung ist ein Fuß weg. Ich hänge mit einem Fuß in einer Gletscherspalte, mit der anderen Körperhälfte über der 50 Grad steilen Blankeisflanke. Langsam, nur cm – weise gelingt es mir, vorsichtig den Fuß aus der Spalte zu ziehen, ständig darauf Achtend, nicht von der 10 kg schweren Sauerstoffflasche in den Abgrund gezogen zu werden. Ich liege wie ein Hund am Bauch und versuche verzweifelt genug Sauerstoff aus der dünnen Luft zu saugen. – Du hast es versprochen, Papa!


der Hillary step, danach ist man fast "oben"

Reiß dich zusammen, da unten, dort wo es blinkt, hast du es geschafft. Da gibt es alles, sogar Wärme  in Form von Schlafsäcken, in dieser sonst so total lebensfeindlichen Zone – nicht umsonst Todeszone genannt. Weiter. Dort drüben wird das Gelände endlich flacher. Der Lichtkegel der Stirnlampe leuchtet mir ein schmales Blankeisband aus, vielleicht 50 relativ steile Meter, unterbrochen von ca. 20 cm breiten Stufen alle 10 Meter.
Zehn mal, 20 mal atme ich durch bevor ich die bei so vielen Kursen gelehrte „Katzenbuckel“ Stellung einnehme. Plötzlich rutschen die Steigeisen, - das ist mir noch nie passiert. Das Eis ist derartig hart, dass die spitzigen, stählernen Zacken der Steigeisen kaum mehr eindringen können. Mit winzigen Schrittchen taste ich mich tiefer. Pause.  – Du hast es versprochen, Papa! Nach Luft hecheln und weiter. Plötzlich geht alles ganz schnell. Ein Fuß rutscht endgültig weg, der andere bleibt wie angeklebt stehen. Die Folge ist eine rasante Drehung und ein anschließende Kapriole mit Sprung. Ich stoße den Pickel mit aller Kraft und meinem gesamten Körpergewicht auf das blanke, blaue, diamantharte Eis. Es gelingt mir, meinen Körper zu stabilisieren. Luft, Luft, ich brauche mehr Luft. Langsam gehe ich in die Knie, sinke über den senkrecht gestellten Pickel zusammen, das Gesicht tief in die Handschuhe vergraben hechle ich – wie ein Ertrinkender – nach dem letzten Restchen Luft. – Du hast es versprochen, Papa!
Langsam, nach Minuten die sich wie Stunden ziehen, hebe ich den Kopf. Regelmäßig, noch immer gnadenlos weit weg, blinkt die Leuchte des Camps, wie die Signalleuchte eines Flugzeuges in 10 000 m Höhe. Noch immer rund zehn oder 15 Meter steiles, gefährliches Gelände. Ich konzentriere mich. – So wie ein Schirennläufer am Start die ersten Tore anvisiert, stiere ich völlig konzentriert auf das Pulverschneeband im Flachen. Noch fünf Schritte, noch drei, endlich. Wieder sinke ich auf den Boden und hechle verzweifelt nach Luft. Die Spannung ist weg. Zum Glück haben wir die Leuchte am Zelt. Jetzt muss ich „nur“ noch einige hundert Meter über fast flaches Gelände zu den Zelten. Der höchste „Campingplatz“ der Welt. Irgendwie schaffe ich es noch diese letzte Hürde zu überwinden. Welches war hier nur unser Zelt? Ich brauche einige Minuten, bis ich mich erinnern kann. Unendlich erleichtert gelingt es mir nach einigen Versuchen endlich die Steigeisen von den Schuhen zu lösen. Der Sturm tobt unvermittelt weiter, die Zelte flattern voll im Wind und geben ein knatterndes Geräusch von sich. Ich öffne die Apsis, sofort reißt mir der Sturm das Zelt aus der Hand. Mit letzter Kraft werfe ich mich auf meine Schlafsack – Du hast es versprochen, Papa, schießt es mir wie schon seit Stunden durch den Kopf. Ja, ich werde mit meinen Töchtern im Zelt übernachten, ganz hoch oben in den Bergen!   
zum ersten Mal am Gipfel des höchsten Berges der Welt
  

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