Montag, 8. Februar 2016

Muntere Schuldsuche nach Rekord Lawinenwochenende


"Nach den tödlichen Lawinenunfällen in Tirol muss über den Warndienst nachgedacht werden." titelte die FAZ heute früh. Die Warnstufe drei mache unvorsichtig.

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/fuenf-tote-durch-lawine-bei-warnstufe-3-passieren-die-meisten-unfaelle-14056601.html

Fachleute wußten es schon vorher. Ein relativ schneearmer Winter, also problematische Altschneedecke, dann einer der seltenen Neuschneefälle in diesem Jahr, aber mit viel Wind, gefolgt von herrlichen Schönwetter Wochenende - das ist der Stoff aus dem Lawinenunfälle sind. Das habe ich schon ziemlich genau vor einem Jahr geschrieben. Fast könnte man meinen "Alle Jahre wieder"....

stressfreier Genuss?

Trotzdem ist diesmal vieles Anders. Es gab 18 Ereignisse alleine im Bundesland Tirol am Samstag, dem 6. Februar. Bei 11 Unfällen wurden insgesamt 24 Personen verschüttet, fünf Personen starben. Die Berichte lesen sich teilweise wirklich dramatisch. 

link:  http://tirol.orf.at/news/stories/2756282/
         http://lawinenwarndienst.blogspot.co.at/2016/02/aktualisierung-zum-lawinenunfall.html


Man muß aber die nackten Zahlen  in Relation setzen, um sie bewerten zu können. Immerhin gibt es in Österreich alleine ca. 700 000 Schitourengeher. Klar, alle werden nicht an diesem Wochenende unterwegs gewesen sein, aber alleine vom Tourenaufkommen her, war das sicher eines der stärksten Wochenenden des ganzen Jahres. Der erste schöne Tag und noch dazu mitten in den Semesterferien. Durchschnittlich sterben pro Jahr 25 Menschen in Lawinen an schneearmen Wintern und 11 Menschen in schneereichen Wintern. Im Straßenverkehr sterben durchschnittlich 3 Menschen pro Tag auf Österreichs Straßen.

Schauen wir uns das größte Lawinenunglück vom Samstag etwas genauer an. Es waren 20 Personen aus Tschechien unterwegs, geteilt in eine Achtergruppe und eine Zwölfergruppe. Ein vermutlich fernausgelöstes Schneebrett verschüttete insgesamt 13 Personen. Wegen der instabilen Gesamtverhältnisse löste die erste Lawine noch 2 weitere aus, was zur Folge hatte, dass die Opfer zwischen 1, 2 m und 3, 2 m tief verschüttet wurden. 



Trotzdem ist es gelungen, 8 Opfer lebend zu bergen. Aufgrund der Schwere des Unglücks, also Lawinengröße und Anzahl der Verschütteten sowie Verschüttungstiefe ist es eigentlich eine große Leistung der "Überlebenden" bzw. der Rettungskräfte, dass soviele Menschen gerettet werden konnten. 

In ganz Tirol wurden an diesem Samstag neben den 13 Tschechen noch weitere 11 Personen in Lawinen verschüttet, die allesamt gerettet werden konnten. Man kann also sagen, dass die Ausbildung und die Ausrüstung der Schneesportler mittlerweile als sehr gut bezeichnet werden kann.


Warum müssen immer gleich "Schuldige" gesucht werden, wenn Unfälle passieren? Klar, Unfallkunde ist wichtig, durch vernünftige Analyse kann man aus den Vorfällen lernen, und somit eventuell weitere Unfälle vermeiden. 

Welche Rolle spielt(e) nun der Lawinenlagebericht  (LLB) bei Lawinenunglücken? Grundsätzlich handelt es sich um eine "Schätzung der Lawinensituation in der Zukunft." Also ähnlich dem Wetterbricht handelt es sich um eine Prognose, wie die Situation in den nächsten Tagen sein kann. Das Wort Schätzung impliziert doch sofort, dass es kein genaues Wissen über die Situation gibt, ja geben kann. 

Trotzdem gibt der LLB einen groben Anhalt über die grundsätzliche Situation. Vergleichbar ist dies in etwa mit der Situation einer Großwetterlage, im Detail kann da das Wetter natürlich anders sein. Genaue Vergleiche der Lawinenprognostiker selber führten  zu der Schätzung, dass rund 75% der Lawinenlageberichte richtig sind, also ca. jeder 4. Bericht falsch ist!

Im LLB wird also eine Situation in der Natur mittels einem relativ groben Schema eingeschätzt, gedacht als Hilfsmittel zur Tourenplanung, wie etwa eben ein Wetterbericht. 

Ich denke, dass es völlig irrelevant ist, mit welcher Zahl man eine Stufe einschätzt. Der Grenzbereich ist immer schwierig zu behandeln. Ob eine "mittlere Lawinengefahr" als Stufe "3" von 5 verschiedenen Stufen, oder als "2" von drei Stufen, oder "4" von 6 Stufen bezeichnet wird, ändert an der Problematik nichts. Es liegt auch in der Natur der Sache, dass es aufgrund der Situation in der Natur immer eine ober oder untere Grenze innerhalb der jeweiligen Stufe geben wird.

Von entscheidender Bedeutung ist viel mehr, dass für viele Tourengeher der LLB als schon fast dogmatisch anmutende Realität genommen wird. Verschiedene sehr gute Hilfsmittel zur Tourenplanung wie "Stop or Go" bzw. "Snowcard" begünstigen leider ungewollt diese völlig falsche Annahme.

Selbstverständlich werden bei Lawinenwarnstufe "3, erheblich" Schitouren unternommen. Und selbstverständlich verhalten sich dabei viele Wintersportler oft gemäß der herrschenden "Lehrmeinung". Und ebenso "selbstverständlich" wird es immer Unfälle geben, die "einfach passieren", so tragisch das auch ist.



2 Kommentare:

  1. Ich finde das Wort "Erheblich" drückt sehr deutlich aus, wie ernst das zu nehmen ist. Sowas als "mittlere Lawinengefahr" zu bezeichnen, halte ich schon für fast fahrlässig. Bei einem "Dreier" gehe ich nur noch sichere Touren, d. h. Hangneigung nicht größer als 30°.
    Außerdem haben wir beim Lawinenkurs gelernt, dass bei Lawinenwarnstufe 3 der GANZE HANG beurteilt werden muss, es darf also keine Stelle steiler 30° haben.
    Der Nordosthang des Geiers hat defintiv Stellen >30° -> Es war also damit zu rechnen, dass sich zumindest lokal Lawinen lösen können.
    Der Tourenleiter hat (nach eigenen Angaben (http://goo.gl/RWAVuz)) angeblich die Schneedecke immer wieder lokal geprüft. Aber blos weil es an der geprüften Stelle sicher war, heißt das noch lange nicht, dass es 10 Meter weiter immer noch sicher ist. Meines erachtens MUSS also eine pauschale Beurteilung durchführen, weil ich nicht jede Stelle eines Hanges prüfen kann! Natürlich muss ich dabei eine konservative Beurteilung durchführen und im Zweifel eben NICHT gehen.
    Und genau DAS wäre das Ergebnis gewesen, wenn man bei Lawinenwarnstufe 3 den Südosthang so beurteilt hätte.

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  2. Lieber unknown: du hast recht, es müßte mittlere Gefahren s t u f e heissen. Wenn du dein Verhalten so exakt an den LLB anpaßt, musst du aber auch berücksichtigen, dass jeder 4. Bericht falsch ist. Das kann nach oben oder auch nach unten sein. Für mich persönlich ist es aber auch nach ca. 25 Jahren hauptberuflicher Tätigkeit als Berg- und Schiführer nicht leicht, einen ganzen Hang im vorhinein zu beurteilen. Man kann das nur s c h ä t z e n! Ich halte das Wort beurteilen auch nicht für glücklich gewählt - es suggeriert nämlich, dass man die Materie exakt beurteilen könne! Und genau das könnenn nicht mal die Ersteller der LLB....

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