Donnerstag, 12. Februar 2015

Das Dogma der Lawinenwarnstufe

 Das Dogma der Lawinenwarnstufe

"Der Blick aufs Smartphone, sprich den Lawinenlagebericht, ersetzt den Blick ins Gelände", hab ich in meinem Blog Bericht über das "Lawinenwochenende" 2. Februar geschrieben. Was habe ich damit gemeint? Um diese Frage genauer zu beantworten, hab ich mich entschlossen, heute etwas genauer auf diese komplizierte Materie einzugehen.

Traumschitour in der Dachsteinregion, Blick auf den Gosaukamm

Sehr häufig wird der Lawinenlagebericht als absolute, oberste, nicht antastbare Wahrheit, also quasi als Dogma begriffen. Dem ist selbstverständlich nicht so. Wie beim Wetterbericht, ersetzt auch der LLB nicht das eigene Beobachten und Mitdenken in der Natur.


Der Lawinenlagebericht ist ein unverzichtbarer Baustein für eine seriöse Tourenplanung. Aber ebenso wie beim Wetterbericht handelt es sich dabei um eine Prognose, also Vorschau. Wie wird es grundsätzlich in naher Zukunft (nächster Tag) und großräumig (grobmaschiges Netz einer Region) vermutlich mit der Lawinengefahr ausschauen. Ebenso wie der Wetterbericht nicht immer stimmt, kommt es also auch beim Lawinenlagebericht zu Fehlern. Besonders treten diese Fehler im Überschneidungsbereich, z. B. Bundesländergrenzen zu Tage. Wir im Dachsteinmassiv haben zu bestimmten Zeiten zwischen dem steirischen, Salzburger und dem oberösterreichschen LLB schon mal bis zu zwei Stufen Unterschied für eine ähnlich Region im selben Zeitraum festgestellt.

Im Alpenraum liegt die Trefferquote des Lageberichts bei etwa 75 %. Soll heissen, dass rund jede vierte Prognose falsch ist. Ich möchte mit dieser Aussage keineswegs den Lawinenlagebericht kritisieren, im Gegenteil, ich möchte ihn nur in das richtige Licht stellen. Übrigens für jene unter euch, die international unterwegs sind: In vielen Regionen der Welt (z. B. Skandinavien) gibt es kaum, oder gar keinen LLB!

Nun möchte ich die einzelnen Stufen etwas beleuchten. Stufe 1 ist eigentlich kaum relevant, da es sich dabei allgemein um eher sichere Verhältnisse handelt, es passieren kaum Unfälle mit Personenschaden.  Stufe 4 - und selbstverständlich 5 - liegen am anderen Ende der Skala. Für den durchschnittlichen Normalverbraucher ist klar, da hab ich im Gelände nix zu suchen, zu komplex und zu gefährlich ist die Situation.

Bleiben die Stufe 2 und die Stufe 3 als wirklich relevant für den Tourengeher übrig. Bei der Stufe 2  (  = mässige Lawinengefahr), das ist rund 47 % der Zeit,  passieren aber immerhin ca. 18 % aller Lawinenunfälle. Es ist also keineswegs so, dass es sich dabei um relativ sichere Verhältnisse handelt, wie leider fälschlicherweise bei einem nur kurzen, schnellen Blick auf den LLB vermutet wird. 

Die für den Freizeitsportler problematischste Stufe ist aber der "Dreier". Diese Stufe                           ( = erhebliche Lawinengefahr) herrscht leider Gottes immer noch zu ca. 37 % der gesamten Schitourensaison. Da das Gefahrenpotential eine exponentielle Funktion ist, passieren bei dieser Stufe aber ca. 63 % der Unfälle. Anmerkung: es handelt sich bei dieser Statistik immer um Unfälle mit Personenschaden. Man muss also bei LLWSt 3 (erheblich) wirklich bereits sehr sorgfältig planen, und es ist enorm wichtig, immer mit offenen Augen und bewusster Wahrnehmung im Gelände unterwegs sein.

Warum wird dem LLB ein so großer Stellenwert gegeben?

Ich bin  mir sicher, dass der weit überwiegende Teil der Schitourngeher sehr verantwortungsvoll und oft auch gut ausgebildet unterwegs ist. Ein Problem könnte z. B. im System "Lawinenbeurteilung" wie es heute allgemein gelehrt wird, liegen. Bei nahezu allen wird der LLB als Grundlage, also als "Input" verwendet. Ob das jetzt die Methode "Stop or Go", oder die Strategie der "Snow Card" usw. ist, immer wird mit der "dogmatischen Zahl des LLB" agiert. Kaum wird bedacht, dass in einem aus vier Fällen dieser Ausgangswert gar nicht stimmt.

Durch das Erheben der strategischen Methoden zur Beurteilung der Lawinengefahr zu einem "Dogma", hat man gleichzeitig für den Endanwender den Lawinenlagebericht zu einem Dogma erhoben. Ich halte es aber für unglaublich wichtig, mit dem Lehren dieser strategischen Schätzmethoden auch ihre Grenzen aufzuzeigen!!

kleiner Blocktest bei einem Schitourenkurs  im Gelände


Aufgrund der aktuellen Ereignisse, sprich der großen Häufung an Unfällen, denken, laut einem Bericht im ORF Tirol, die Verantwortlichen des Tiroler LLB laut über eine Umbenennung der einzelnen Gefahrenstufen nach.

Als Grund dafür wird angegeben, dass die Bezeichnung "erhebliche Gefahr" nicht den wahren Zustand der Schneedecke im Gelände beschreibe. Offensichtlich gehen die Verantwortlichen davon aus, dass ein großer Teil der Nutzer nur auf die Zahl, bzw. die Bezeichnung der Warnstufe achtet, aber dann im Gelände zu wenig auf die Warnzeichen.

alt - neu
gering - gering
mäßig - mäßig
erheblich - gross
gross - sehr gross
sehr gross - extrem

Ich halte das für nicht zielführend. Denn wie oben erwähnt, denke ich nicht, dass die Ursache für die offensichtlich manchmal mangelnde Sorgfalt der Tourengeher im Gelände das "Wording" im LLB, sondern eher im System selbst begründet ist. Auch ist es naheliegend, dass an einem Gratisabend oder einem billigen Schnellsiederkurs, von einigen Stunden Dauer, so eine komplexe Materie wie Lawinenkunde u n d die Grenzen der Schätzmethoden gelehrt werden können. Dies kann man eben nur in einem serösen Kurs mit staatlich geprüften Berg- und Schiführer lernen. Und solch ein Kurs hat eben auch seinen Preis in Zeit und Geld. Wie intelligent ist es, bei einer Sicherheitsausbildung Zeit und auch Geld zu sparen?
Achtet auf die Marke!

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